Ehre und Blutrache

Für das Funktionieren der walischen Gesellschaft ist es unabdingbar, dass die Menschen einem Ehrenkodex folgen. Dieser Ehrenkodex, der auch gegenüber den Göttern gilt, drück sich in den Tugenden Treue, Ehrenhaftigkeit, Furchtlosigkeit, Mut, Güte, Pflichtgefühl und der freiwilligen Hinnahme des Unabwendbaren aus. (Siehe als Beispiel: Gebet zum Kampf und Opfergang). Indem man sich in diesen Tugenden bewährt, erringt man die Achtung der Gesellschaft. Das bedingt, dass ein Mensch nach seinen Taten und nicht nach den Worten beurteilt wird. Erringt ein Mensch durch Einhaltung des Ehrenkodex Ansehen und Ehre, so wird diese im Allgemeinen auch auf die Ehre der eigenen Sippe angerechnet. Handelt man unehrenhaft, kann es vorkommen, dass die eigene Sippe sich sogar von einem distanziert.

Mit dem Ehrenkodex einher geht aber auch ein entsprechendes Ehrgefühl, das leicht zu verletzten ist und dann zu ausufernder Rache führt. Schon wenn eine einzelne Kränkung, die nicht geahndet wird, gilt als Makel der Person. Ist eine Kränkung erfolgt, so kann diese nach Auffassung des Gekränkten oft nur durch den Tod des Schuldigen ausgeglichen werden. Die Pflicht eines jeden Sippenangehörigen ist es, seine eigene Ehre und die der Sippe zu verteidigen und wiederherzustellen. Ein Beispiel hierfür ist die Einarsaga, in der Einar den feigen Totschlag an seiner Familie mit dem Tod sämtlicher Beteiligten ahndet und dabei keine Rücksicht auf sein eigenes Wohlergehen nimmt. Mit dieser Rachetat hat er nicht nur die Ehre seiner Sippe zurückgewonnen, sondern sie sogar noch vermehrt.

Wer also absichtlich oder unabsichtlich die Ehre eines anderen verletzt, handelt unklug, wenn er  nicht mit Vergeltung rechnet.

Auch das Sittengedicht der Wali geht in einigen seiner Verse auf dieses Thema ein:

Der weise Mensch       vergelte Übles

nicht am gleichen Tag

Unweise ist der       der ohne Verstand

wütet gegen Wiedersacher

...

Kennst du einen       dem du wenig vertraust

weil dir sein Sinn Übles verheißt

sei weise mit Worten       und halte an dich

Zahle seine Gabe mit Vergeltung

...

Freundschaft erwidere      dem alten Freund

Gabe vergelte mit Gabe

Des Freundes Feind       jedoch vergelte

jede übel Gesinnung

Seit dem Ende des Langer Winters besagt das Thingrecht des Jarkhan, dass Kränkungen der Ehre auch vor dem Thing verhandelt und mittels angemessener Bußen vergolten werden können, zumeist in der Form von Geldbußen, seltener auch durch den Verlust von Land oder durch die Friedlosigkeit des Schuldigen.  Allerdings kann es vor dem Thing auch zu einem Zweikampf kommen, dem aber, da er nach festen Regeln erfolgt, keine weitere Rache folgen kann. Anfänglich wurde dieses Thingrecht nur selten in Anspruch genommen. Erst als der Jarkhan die Höhe der Geldbuße auf die für einen Totschlag anhob und die Geldbuße für einen Totschlag verdreifachte, gelangten die meisten Wali zu der Auffassung, dass die Klage vor dem Thing die bessere Wahl sei. In den letzten vierzig Sommern hat es nur 25 Blutrachen gegeben, während z.B. in den letzten zwanzig Sommern der Jarkhanlosen Zeit alleine 500 Rachetaten bekannt wurden.

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